KONSTRUKTIONEN

SYMPOSIUM - Freitag, 11.9.2015, ab 15:00 Uhr

Moderation: Judith Schossböck


15:00 | Anika Kronberger (monochrom/EMEE) 
What is the point(ing)? Innovation durch Reproduktion

Unter einem "Zeigerpointer" verstehen wir Abbildungen (im Rahmen printmedialer Berichterstattung) von Tat- und Unfallorten, Unglücksstellen sowie anderen Ereignisstätten, bei denen es nichts zu sehen gibt, weil das berichtete Geschehen bereits vorüber ist, keine sichtbaren Spuren hinterlassen hat oder diese im Zuge der Wiedereinsetzung des Status Quo bereits vollständig beseitigt wurden. Weil in diesen Fällen nichts fotografiert werden kann, bitten FotoreporterInnen in der Regel bestimmte Personen – AugenzeugInnen, Betroffene oder administrativ Zuständige –, auf jenen Ort, an dem "es" passiert ist, zu deuten. Die Abgebildeten deuten aber nicht nur auf Unglücksstellen oder Tatorte, sie deuten zugleich auch auf das mediale Prinzip der Repräsentation selbst. Wo es nichts (mehr) zu sehen gibt, muss – im Akt des Zeigens – ein Platzhalter und medialer Behelf eingeführt werden, um die Sichtbarkeit und Anschaulichkeit, die das mediale Geschehen als formaler Zwang und ideologische Struktur internalisiert hat, auch angesichts des Unzeigbaren bestätigen. 

"Zeigerpointer" repräsentieren also nicht Ereignisse allein, sondern jenen Repräsentationszwang einer Medienlandschaft, die beinahe ausschließlich auf die selbsterklärende Suggestivkraft von Bild und Bildunterschrift abstellt und deren konkurrierende Informationswaren auf schnelle Fasslichkeit und kompakte, bruchlose Veranschaulichung angewiesen sind.

 

16:00 | Aga Trnka-Kwiecinski, Manfred Zentner
(Donau-Universität Krems, Department für Migration und Globalisierung)
Migration 2.0 – Internet als Medium und Ort der Migration
am Beispiel „Nasza Klasa“ und „Second Life“

Im Prozess der Identitätsbildung sind Exklusionserfahrungen in sozialen Netzwerken und im Second Life im Sinne einer Migrationserfahrung möglich. Das Beispiel „Nasza Klasa“ („Unsere Klasse“) aus Polen zeigt dies besonders deutlich. Das soziale Netzwerk war gleichzeitig Ort der Zusammenführung von Polinnen und Polen aus dem In- und Ausland, und Ort der Exklusion von Menschen, die zwar polnische Wurzeln haben, aber nie die rot-weiße Schulbank gedrückt haben.

Spätestens seit Erving Goffman und Zygmunt Bauman wissen wir, dass wir Lebenskünstler sind und auch im Alltag Theater spielen, wir verkörpern Rollen und eignen uns die dazugehörigen Zuschreibungen an, von denen wir zweifellos häufig profitieren, wenn es etwa um Prestigegewinn geht, oder aber durch die wir auch verlieren können. Wir bewohnen unsere selbst geschaffenen und medial erzeugten Parallelwelten, und in nächster logischer Konsequenz war es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir dies zunehmend externalisieren.

Die Realität spielt sich auf einer anderen Projektionsfläche ab, findet andere Kanäle, aber die Vorgänge der Inklusion und Exklusion sind gleich geblieben.

 

17:00 | Günther Lametschwandtner
Ingress: Digitale Emigration in einen virtuellen Bürgerkrieg

Ingress hat im Sektor der MMORPGs (massive multiplayer online role-playing games) eine neue Kategorie eröffnet, da es Augmented Reality-Elemente in ein ortsbasiertes Spiel so integriert, dass Real- und Spielwelt ineinander verschmelzen. Eine der spezifischen Besonderheiten von Ingress ist dabei, dass durch die standortbezogene Komponente die öffentliche Anwesenheit des Spielers an realen Orten die ansonsten im Privaten ortsfixierte Spielteilnahme an MMORPGs substituiert. Somit ist Ingress – sicher nicht zufällig, da von einer Google-Tochterfirma entwickelt - ein digitales Messinstrument der Alltagsmobilität der Spieler. In einer geradezu paradoxen Rückkopplung erzwingt dieses Messinstrument allerdings zusätzliche Mobilität derjenigen Spieler, die sich dem Anreizsystem des Spiels und somit der dahinterliegenden Gamification-Strategie am stärksten unterwerfen. Durch die der Spielhandlung zugrundeliegende Konfliktsituation zweier um die weltweite Vorherrschaft ringender Fraktionen entsteht noch eine weitere Paradoxie: Die in den von Kriegen weitgehend verschonten westlichen Industrieländern lebenden Spieler emigrieren entgegengesetzt zu den realen Verhältnissen der Flüchtlingsströme in einen virtuellen Bürgerkrieg – der wenngleich auch freundschaftlich und sportlich ohne direkten (körperlichen) Kontakt geführt – doch Zeit und persönliche Ressourcen der Spieler aus der Realwelt abzieht.

 

18:00 | Abendprogramm:
Open Culture: Buchvorstellung 

OPEN CULTURE
ÖKONOMIEN ZWISCHEN ÖFFNUNG UND BEGRENZUNG

Hrsg.: Günther Friesinger, Jana Herwig, Odin Kroeger, Herbert Hrachovec
Taschenbuch: 188 Seiten
Verlag: edition mono/monochrom (September 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3902796-36-33

Open Culture - eine offene Kultur, zugängliche kulturelle Güter und Information, überliefertes Wissen für jedermann/frau frei zugänglich - ist das ein utopischer Gedanke? Das Symposium reflektierte nicht nur Kulturrezeption und Kulturproduktion sondern auch das alltägliche Aufbegehren der Konsumenten gegen diktiertes Warenangebot. Kreatives Potential entfaltet sich in gemeinschaftlichen Projekten und findet neue Formen der Distribution, des „Sharings“. Ob kostenloser Lesestoff, Küchen aus Mülltonnen im öffentlichen Raum, DIY Anleitungen, Community Gärten, die altes Saatgut kultivieren oder das Wiederaufgreifen handwerklicher Betätigung - an vielen Beispielen sehen wir, wie aus purer Rezeption plötzlich der Partizipationsgedanke sprießt. Wie kann freie Kultur funktionieren, wenn dies doch zugleich bedeutet, die eigene Kulturproduktion freizugeben? Wir möchten uns Klarheit darüber verschaffen, welcher Begriff von Kultur (und Freiheit) unserem Anspruch auf freien Zugang zu dieser zugrunde liegen soll, wie er sich in traditionelle Auffassungen fügt und wo er sich gegen diese sperrt. Welche Experimente gab es schon und gibt es, welche Ideen waren fruchtbar und entwicklungsfähig?

Input von Thomas Thurner (http://schoolofdata.at/) und Robert Harm (http://open3.at