STRATEGIEN
SYMPOSIUM - Samstag, 12.9.2015, ab 15:00 Uhr
Moderation: Thomas Ballhausen
15:00 | Katharina Müller
Formatierungen des Kinos:
Kurzfilm, Festivals und das begünstigende Prekariat der post-media condition
Im globalsten Sinne, unter Absehung ihrer translokalen bzw. geopolitischen Fundierung also, impliziert die Idee von „Migration“ zunächst eine Bewegung. „Migration“ ist sodann, nach den gängigsten Mustern der Alltagsrede, mit einem Prekariat konnotiert, das einer ihrer Hauptfaktoren – die Flucht – mit sich bringt. Als „prekär“ kann auch die digitale Welt gelten, insbesondere in jenen Konstitutiven, die ihr pauschal die Bezeichnung der „Informationsgesellschaft“ haben angedeihen lassen. Denn der ökonomische Wert, der Verkaufswert von Informationen ist mit dem Aufkommen der sogenannten „neuen Medien“ eklatant gesunken. Es ist bezeichnend, dass bei aller Bewegung in ihrer hochstilisierten Rasanz und Raserei, im Kunstsektor so sehr wie im ökonomischen (sofern man von einer Trennung der beiden Bereiche überhaupt ausgehen kann), vorzugsweise um eine Ressource gebuhlt wird: die Aufmerksamkeit. Sie bewährt sich zusehends als ein Bewusstseinszustand mit den Qualitäten einer (im Gegensatz zu Geld nicht vermehrbaren!) „Währung“1, dessen zentrales Maß die Konzentration ist – neuerdings auch jene für „Aufmerksamkeitseinkünfte“2 indikatorische von „likes“ und „shares“. Es scheint als habe diese mit der Multiplikation und Erschwinglichkeit von Material und technischem Dispositiv einhergehende Entwicklung im vergangenen Jahrzehnt insbesondere ein Format begünstigt, nämlich den (digitalen) Kurzfilm, der die bislang gängigen Kommunikationsformen sukzessive ersetzt: Ob als institutionelles, „printergänzungsmediales“ Informationsinstrument (die Rekrutierung von Fachkräften im Bereich Videojournalismus sowie die Konsequenz sich vermehrender Berichterstattungsvideos in den online-Ablegern sämtlicher Tageszeitungen sprechen für sich) oder als „privates“, nach simulierter „Öffentlichkeit“ heischendes Selbstdarstellungs-, Vermarktungs- und Kommunikationsinstrument („broadcast yourself“ – Stichwort „Vlogging“): Der Kurzfilm ist längst integraler Bestandteil von Kulturtechnik, jedenfalls von Kulturindustrietechnik geworden. Während in diesen Bereichen das Medium als solches seinen Funktionen entsprechend in den Hintergrund tritt und seine Kürze förmlich zur notwendigen Selbstverständlichkeit gerät, erfährt der Kurzfilm innerhalb des Kunstsektors eine rege Wiederbelebung und (Selbst-)Referenzialisierung in Theorie und Praxis. Von der zunehmenden Anzahl an Kurzfilmfestivals nach Oberhausener Vorbild bis hin zur rezenten Genese diverser spezialisierter wissenschaftlicher Fachzeitschriften verzeichnet das kurze Format in jüngerer Vergangenheit eine quantitative und qualitative Aufwertung, die – historisch betrachtet – eine paradoxe ist. 1 Zu den Bedingungen des „mentalen Kapitalismus“ und zur „Aufmerksamkeit“ als „Währung“ im Zuge der Verschiebung von einer Ökonomie des Geldes hin zu einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ siehe Georg Franck (1999): „Jenseits von Geld und Information: Zur Ökonomie der Aufmerksamkeit“: www.iemar.tuwien.ac.at/publications/GF_1998c.pdf (01.07.15) sowie ders. (2009): „Autonomie, Markt und Aufmerksamkeit: Zu den aktuellen Medialisierungsstrategien im Literatur- und Kulturbetrieb“: www.iemar.tuwien.ac.at/publications/Franck%202009e.pdf (01.07.15) 2 Ebd. Im Jahr 1895, bevor sich technische Möglichkeiten naturgemäß entwickelt und Zeitmaße kulturgemäß verschoben haben, war es schließlich einfach Film, mit dem die Brüder Lumière zu überraschen vermochten. Von Kurzfilm war entsprechend noch nicht die Rede, dazu hatte es schließlich erst der Relation zum späteren und fortan quantitativ kinodominanten langen Format bedurft. 120 Jahre später, 2015, laufen einige der lumièreschen Dokumentationen und Fiktionen – restauriert und prominent kommentiert – im mythischen, ansonsten den Filmen der Sélection Officielle vorbehaltenen Hauptschauraum des Filmfestivals von Cannes, während die mit künstlerischer Autonomie medial weitaus stärker konnotierte Parallelsektionen des Festivals wider die gängige ökonomischer Kinoverwertungslogik mit besonders langen Streifen aufwarten3. So unübersehbar seine Dominanz im Rahmen der gegenwärtigen Alltags- und Informationskultur ist, so vehement hält sich im Kunstsektor dem Kurzfilm gegenüber eine Haltung, die ihm etwas Mangelhaftes und Vorläufiges aufdrängt: Von Filmstudierenden häufig als Vorstufenarbeit zum Einstieg ins Filmgeschäft zitiert und wahrgenommen, schließlich und über lange Zeit diskurspolitisch mit der zählebigen Eigenschaft versehen, „nur“ Teil eines Ganzen zu sein, konnotiere der Kurzfilm als Begriff schon eine gewisse „Mutlosigkeit“, die „Bestätigung einer Unangemessenheit“: „ (...) not so much a statement as a shrug. Movies are short only in relation to other movies which ain’t. The ‚short film’ implies something else, something longer, something that isn’t just ‚short’“.4 „Feature films are show-offs“, lautet ein Slogan des Vienna Independent Shorts Filmfestivals 2015, emblematisch für einen aktuell kuratorisch sich abzeichnenden Diskurs der Validierung, Legitimierung und Kontextualisierung, der kulturpolitisch schon dadurch auffällt, dass er die häufig inflationär inhaltsorientierten (und – da sich „der Film“ in seinen künstlerischen Potentialen möglicherweise gar erschöpft hat (?) – teilweise so müßigen wie förderpolitisch dominanten) Fragen zugunsten von Fragen der Form als Statement relativiert. Der Vortrag verschreibt sich dem Versuch der Konstruktion eines kuratorischen Stimmungsbildes zu den Potentialen des Kurzfilmformats – unter den Prämissen einer post-media condition5, die einen auf Wahrnehmung kollektiver Öffentlichkeit zielenden Kunstbetrieb vor maßgebliche Herausforderungen stellt. Der diskursive Spieleinsatz reicht dabei von Fragen der Autorschaft, über politische Intervention bis hin zu Möglichkeiten von Partizipationskultur(en).
16:00 | Silvester Stöger
Media of Choice - Steintafel oder Magnetismus?
Silvester Stöger hat medienübergreifende Kunst studiert und in dieser Zeit und danach künstlerische Arbeiten in den Medien Video, digitale Fotocollage und Installationen mit zum Teil interaktivem Ansatz gearbeitet. In der Ausübung von Filmrestaurierung innerhalb von Archiven konnte ein Einblick erlangt werden welche Veränderungen das Medium des Bewegtbildes in den letzten Jahren durchlaufen hat. Sei es die Filmproduktion an sich oder auch die Präsentation von historischem Filmmaterial, Film ist digital geworden. Das gesamte Dispositiv des Mediums hat eine Migration in die digitale Sphäre vollzogen, der klassische analoge Film ist zum minoritären Aussenseiter geworden und Archive historischer Filme müssen dieser Veränderung standhalten wenn sie ihren Auftrag der Präservierung und Zugänglichmachung der kulturellen Artefakte erfüllen wollen. Dies stellt Archive vor große Herausforderungen die ansatzweise umrissen werden sollen. Die Migration der Sammlungen ins digitale Zeitalter ist zwar keine leichte Aufgabe bringt aber ebenso neue Möglichkeiten mit sich, die umgekehrt auch wieder zu einer grundsätzlichen Erwartung gegenüber den Institutionen wird. Digitale Technologie ist im Gegensatz zur fast hundertjährigen Normierung des Bewegtbildes ein sich stetig wandelndes Konstrukt. So verändern sich Standards laufend und das heutige „State of the Art“ ist morgen wieder obsolet. Die digitale mediale Sphäre (im kommerziellen als auch consumer Bereich) ist eine äußerst markthörige. Profitinteressen der Produzenten der Technologien vordern die Arbeit der Kreativität und der kulturellen Institutionen als auch die Erwartungen der kulturellen Rezipienten heraus. Was bedeutet dies für (Film-)Archive deren Strategien traditionell weit über den zeitlichen Horizont von Jahrzehnten hinaussehen? Was sind Alternativen beziehungsweise Möglichkeiten? Zuletzt soll übergeleitet werden auf die persönliche künstlerische Produktion des Vortragenden. Nicht auf dessen Arbeiten per se, sondern auf die Überlegungen was es für einen Produzenten kultureller Artefakte bedeutet, wenn dessen Werkzeuge den eben gleichen Obsoleszenzzyklen und Marktlogiken unterworfen sind. Ist es die Patina und der Stil einer bestimmten Zeit welche das Artefakt prägt oder ist der Avantgardist sehr bald überholt? Was bedeutet die Wahl des Mediums für den künstlerischen Ausdruck in einer medial ephemeren Zeit?
17:00 | Renee Winter
„Wo ist zuhause, Mama?“ Home Videos im migratory archive
Was und wo ist das Zuhause, das „Home“ des „Home Videos“ im Kontext von Bewegung, Mobilität und Migration? Welche Geschlechtercodes sind ihm eingeschrieben und was bedeutet dieses Verhältnis für die Praxis privaten Filmens und die digitale Archivierung im öffentlichen Archiv? Ausgehend vom an der Österreichischen Mediathek durchgeführten WWTF-Projekt „The changing role of audio-visual memory storages in the public space“ werden Home Videos im Kontext von Mobilität und (Daten-)Migration diskutiert.
David Morley betonte, dass „home“ oft den unhinterfragten Anker bzw. das Alter Ego von Hypermobilität bildet. (Morley 2000: 3) Wie verhält sich daran anschließend im privaten Video das Home zu seinem scheinbaren Gegenpol der Mobilität und Bewegung? Mit dem Übergang von Home Movies und Home Videos ins Internet, ins öffentliche Archiv und ins Fernsehen beschäftigte sich Roger Odin. Er schlägt ein Modell verschiedener Kommunikationsräume vor, die mit spezifischen Rezeptionsmodi korrespondieren. Im Archiv oszilliere die Lesart der Videos zwischen „private mode“ und „documentary mode“, so Odin. (Odin 2014) Patricia Zimmermann argumentiert, dass der Fluidität und dem provisorischen Charakter des Home Movies/Videos an sich, nur ein „migratory Archive“ gerecht werden könne: „Home movie archival objects are not static. They should not be sacralised, monumentalized, or fossilized. […] They are mobilized to create a collaborative performative space for the imagination of new histories, new futures, new public works – the migratory home movie archive.” (Zimmermann 2009: 20)
Im Beitrag wird einerseits auf die Konstruktionen des Privaten, des Heims, im Home Video eingegangen und andererseits danach gefragt, wo das Zuhause des Home Videos ist und was passiert, wenn sich das Home Video in andere Kontexte, wie im Projekt „The changing role of audio-visual memory storages in the public space“ in ein öffentliches Archiv bewegt.
Literatur:
David Morley: Home Territories. Media, Mobility and Identity, London, New York 2000.
Roger Odin: The Home Movie and Space of Communication, in: Laura Rascaroli, Gwenda Young, with Barry Monahan (Hg.), Amateur Filmmaking. The Home Movie, the Archive, the Web, New York/London: Bloomsbury 2014, 15-26;
Patricia R. Zimmermann: Speculations on Home Movies: Thirty Axioms for Navigating Historiography and Psychic Vectors, in: Sonja Kmec, Viviane Thill (Hg.): Private Eyes and the Public Gaze: The Manipulation and Valorisation of Amateur Images, Trier 2009, 13-23.