Abstracts
Stefan Hampel
Europa Immaculata – Die Offenbarung der Euro-Banknoten
Nach ihrem Selbstverständnis (aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung) wird die Europäische Union oft verkürzt als rationale Wirtschaftsgemeinschaft verstanden. Ihr politisches Gründungsanliegen bestehe in der nachhaltigen Schaffung von Frieden in Europa. Viele feiern die EU deshalb als strahlenden Sternenkranz der Aufklärung, andere wiederum erfüllt die Machtkonzentration in Brüssel zunehmend mit Angst und Sorge. Manchen Menschen ist die EU auch schlichtweg egal geworden. Zwar will niemand diese Organisation prinzipiell gutheißen, man erfreut sich jedoch gerne an ihren Errungenschaften, wie etwa dem kostenlosen Handy-Roaming, dem freien Grenzverkehr oder der praktischen länderübergreifenden Euro-Währung.
Der Euro ist das Geld der Europäischen Union. Zirka 20 Milliarden Euro-Banknoten sind aktuell im Umlauf. Ihr Gegenwert beträgt über 1,1 Billionen Euro. Fünfzehn Jahre nach der Einführung hat sich die „europäische Währung“ offenkundig weltweit als Zahlungsmittel etabliert. Jedoch erfüllt sie auch noch eine weitere, weniger beachtete Funktion: Der Euro ist eines der wirksamsten Propagandainstrumente der Europäischen Union. Fast jede/r führt in seiner Geldtasche täglich mehrere dieser EU-Werbeträger mit sich (Hampl, 2016). Bei genauerem Hinsehen lassen sich in der Bildsprache der Euro-Banknoten nicht nur kaschierte territoriale Ansprüche der EU entdecken, sondern – seit der überarbeiteten zweiten Euro-Serie (ab 2013) – auch eine christlich-apokalyptische Ikonographie. Alltagspolitisch wirksam ist dabei insbesondere die unauffällige Fusion mythologischer Europa- und christlicher Marien- bzw. Immaculata-Imagines. Den Selbstbildern der Europäischen Union auf der Spur, lassen sich apokalyptische Verdachtsmomente auch an anderen EU-Artefakten nachweisen – etwa an der Europa-Flagge und der Europa-Hymne. Naheliegenden Verschwörungstheorien zum Trotz, stecken hinter den rekonstruierten Sinnfestlegungen vermutlich keine geheim- bzw. marienbündlerischen Machteliten. Die religiösen Anspielungen können vielmehr als weitgehend unintentionale Kompromissbildungen aufgefasst werden (Imdahl, 1996), die auf die neuzeitlichen Denktradition der „Europapropaganda“ (Schmale, 2005) zurückzuführen sind. Gerade indem die EU versucht sich aus der Zeit herauszunehmen, übernimmt sie unwillkürlich eine politische Haltung die ihre ideologischen Wurzeln im Habsburgerreich hat.
Der apokalyptische Funke der EU dokumentiert sich 1951 bereits im archaischen Titel ihrer Vorläuferorganisation, der „Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“. Tatsächlich bestand damals nur ein zarter Hoffnungsschimmer, dass dieses utopische Projekt von Kriegsverlierern und Kriegsgewinnern langfristig zu einem Neubeginn in Europa führen würde. Nach annähernd 7 Jahrzehnten der politischen Zähmung und wirtschaftlichen Rekonvaleszenz, scheint nun der seit jeher global orientierte und kolonial operierende Kontinent wieder zu sich gekommen zu sein (Sloterdijk, 2002). In diesem Zusammenhang geben die vorgebrachten empirischen Befunde Anstoß zu weiterführenden Diskussionen – nicht zuletzt darüber, warum gerade das von der EU so rational begründete „Neue Europa“ im 21. Jahrhundert nicht ohne Rückgriff auf längst überwunden geglaubte Heils- und Apokalypsemotive auskommt; und welche Alternativen es dazu gibt.
Jack Hauser/David Ender
Apokalyse
David Ender schreibt seit 1989 gemeinsam mit Jack Hauser experimentelle Abenteuerromane in der Tradition von Jack Hauser. Seit 1989 schreibt Jack Hauser gemeinsam mit David Ender experimentelle Liebesromane in der Tradition von David Ender. Für paraflows .XII wird Apokaly.se ein enthüllendes Schreiben für Alle und für Keinen in der Tradition von David Ender & Jack Hauser.
Christian Hoffstadt/Anna Zinßer
And then you are fck*d
Strom weg, Wasser weg, Supermarkt weg, Kunst nutzlos? Dieses Endzeitszenario hat uns beim Besuch der documenta14 in Athen zu einer besonderen Projektidee geführt. Darüber nachzudenken, welchen Wert Wissenschaft und Kunst nach (und auch vor) der Apokalypse haben könnten. Inspiriert u. a. von wissenschaftlich-künstlerischen Werken aus den 1970ern u. a. von Agnes Denes bauten wir unsere äußerst komplexe und variable Projektidee um einen Kerngedanken: Die Welt, wie wir sie kennen, wird untergehen. Zivilisation ist endlich.
Abhängig von denkbaren Szenarien (Atomkrieg, Klimakrieg, Versiegen der Energiereserven usw.) schauten wir auf das Ergebnis: “And then you’re fck*d (fucked)”. Was machen die Menschen dann mit all ihren Handys, ihrer Abhängigkeit vom digitalen Datenstrom, inmitten zusammenbrechender Infrastrukturen, wenn es keine Energie mehr gibt - und vor allem bewegte uns eines: Was passiert mit digitaler Kunst? Was passiert überhaupt mit Kunst? Wofür ist sie in diesem Moment noch zu gebrauchen? Welchen Zweck haben Kunst und Künstler nach der der Apokalypse?
Das künstlerisch-wissenschaftliche Projekt hat mehrere Dimensionen und wird verschiedene Fluchtlinien verfolgen:
Mögliche Endzeitszenarien
Verschiedene Szenarien werden durchgespielt, je nach Szenario verändern sich die folgenden Elemente. Die Aufteilung des Projekts und Dissemination in verschiedene Projektgruppen ist denkbar/gewünscht.
Die Idee der Zeitkapsel dient verschiedenen Funktionen: Überlieferung, Überlebenstechniken, Trost/Hoffnung. Wir erweitern das Konzept der Zeitkapsel, die normalerweise eingegraben wird und nach langer Zeit als Erinnerung wiederentdeckt wird: Es sollen Dinge entstehen, die im Jetzt ihren Platz finden. Vor der Apokalypse sind sie Kunst/Wissenschaft, nach der Apokalypse oder auf die Apokalypse vorbereitend sind sie nützlich. Sie werden “Objekte von Bedeutung”: Künstler könnten Dinge herstellen, die nicht nur “schön” sind, sondern im “Danach” eine Funktion haben: Der Rembrandt wird ggf. wertlos, aber das Postapo-Kunstwerk gewinnt an Bedeutung und Nützlichkeitswert.
Unser Vortrag will sich auch mit den Grundlagen eines solchen Großprojekts beschäftigen, es zugleich inaugurieren. Wir werden uns beispielhaft mit einigen eigenen Ideen befassen und mit ihnen Anschlussmöglichkeiten schaffen. Das “Überlebensrad” ist ein archaisches Holzrad, das in einem geschützten Waldgebiet installiert werden soll - weit entfernt von prognostizierten Atombombeneinschlagspunkten, aber dennoch erreichbar für Überlebende. Es bietet die Möglichkeit, sich vor als auch nach der Apokalypse auseinanderzusetzen und etwas mitzunehmen:
1. Davor: Das Rad bietet durch Einstellmöglichkeiten verschiedene Endzeitszenarien an und zeigt dem Betrachter, was systemisch daraus folgt. Er bekommt isotypische Darstellungen und einen atmosphärischen Eindruck eines möglichen “Danach”. Zugleich ist dies auch Vorbereitung und Anleitung.
2. Danach: Der Betrachter hat einen sicheren Fluchtpunkt erreicht und erhält wertvolle Informationen dazu, was er jetzt tun kann. Das “Kunstwerk” bietet einen unmittelbaren Nutzwert (z. B. durch die kartographische Anzeige einer sicheren nächsten Siedlung oder der isotypischen Beschreibung, wie man Feuer macht)
Dabei soll auch das Thema “Dekadenz” angeschnitten werden; wie stellen wir uns im Davor das Danach vor? Vielleicht hilft das Bild einer “Self-fulfilling Endzeit” darüber nachzudenken, was Kunst und Wissenschaft für ein desaströses Danach, aber auch vielleicht im Davor leisten können, um eine Apokalypse zu verhindern oder erträglicher zu machen?
Letztendlich stellen wir uns mit der experimentellen Mischung aus Wissenschaft und Kunstprojekt auch der Frage nach der postapokalyptischen Rollen- und Identitätstransformation: Der Künstler muss sich ggf. eine neue Rolle/Funktion suchen, um für die neue Gesellschaft “nützlich” zu sein. Wir müssen vielleicht jetzt schon, im “Davor”, Dinge tun, die den Menschen in beiden Zeitebenen nützlich sein können. Und dieses Projekt soll das Projekt von vielen sein, ein Projekt der Partizipation.
Stefan Höltgen
End/Zeit/Geschichte/n des Computers. Das Telos des Rechners und die Unendlichkeit des Rechnens
Seit es Computer gibt, werden ihnen Endziele zugeschrieben: Die sukzessive Verkleinerung ihrer Hardware steuert auf ihr vollständiges Verschwinden im “ubiquitous computing” (Mark Weiser) zu, die fortschreitende Verringerung der Chipflächen (Moore’sches Gesetz) auf die Indifferenzierbarkeit von Informationseinheiten (Signal versus Quantenrauschen), die sukzessive Vernetzung von Computer auf ihre “Auflösung in Dienste” (Claus Pias) und so weiter. Von außen betrachtet scheint es so, als benötige die Computertechnonolgie solche ständigen Untergänge ihrer technischen Existenz(en) für ihre Fortentwicklung. Aus dieser Perspektive leitet sich alle bislang formulierte Geschichtsschreibung des Computers ab, die chronologisch einzelne Etappen (Epochen, Geräte, Firmen etc.) sukzessive abläuft, um am Ende stets einen Fluchtpunkt auszumachen. Die Innenperspektive der Computer selbst offenbart hingegen einen stetigen Kampf gegen die Unendlichkeit: Das Halteproblem (Alan Turing) tritt auf, wenn ein Algorithmus (potenziell) ewig weiter rechnet, ohne auf eine Lösung stoßen zu können, Abstürze zeigen sich auf Maschinensprache-Ebene als Endlosschleifen und rekursiv programmierte Funktionen ohne Abbruchbedingung rufen sich ad infinitum selbst auf und bringen den Speicher zum Überlaufen.
Der Unterschied zwischen den beiden Zeitfiguren endlich/unendlich rührt nur augenscheinlich daher, dass die erste die Hardware und die zweite die Software betrifft. Wenn man sich vor Augen hält, dass Software nicht mehr als symbolische Maschinen und Hardware nicht weniger als materialisierte Diagramme/Strukturen darstellt, lassen sich beide Problemfelder ineinander überführen. Mein Vortrag will versuchen diese beiden Zeitfiguren - die menschlich prognostizierten “Enden des Computers” und die technisch informierten “Unendlichkeitsprobleme von Algorithmen” - phänomenologisch, historisch und techno(-)logisch einander gegenüberzustellen. Aus dieser Gegenüberstellung soll der Versuch münden, die eschatologische bzw. deterministische Geschichtsschreibung (Hayden White) des Computers als eine diesem “zeitkritischen Medium” inadäquate Form der Beschreibung darzustellen. Als Alternative soll folgende Frage gestellt werden: Wie sähe eine Historiographie aus, wenn man den operativen Computer seine Geschichte selbst schreiben ließe? Sie müsste dem Medium angemessen, ebenfalls ein operativer Prozess sein, der sich jenseits des Diskurses schreibt. Um das Aufschreibesystem dieses “Endes der klassische Computergeschichte” zu skizzieren, werden die drei oben vorgestellten Unendlichkeitsphänomene in ihrer algorithmischen Form bei einer Demonstration in ihrer technischen Funktion und medientheoretischen Relevanz vorgestellt, aufgerufen und (natürlich) vorzeitig abgebrochen, um sich nicht bis zum Ende aller Tage weiter zu erzählen.
Frida Robles
The suns that have occurred
The apocalypse is the time when the moon was bloody and the stars fell like leaves, where the sky was no longer there. For the Aztecs, the Mictlan was the other world, a nine-level cosmos were dogs were there to guide you. Mythologies have been mostly crafted in order to explain a particular connection between time and space; a temporality. The Judeo-Christian apocalypse sets the mood for a teleological understanding of time in which a genesis is framed together with a material end of the world. The Aztecs believed in rotating eras; eras propelled by different suns: the water sun, the tiger sun, the rain sun, same at the end of its cycle turned the rain into drops of fire. Ancient Aztec temporality has its foundations on the idea of sacrifice, destruction, rebirth and cycles. There are eras, there are suns.
Raffaela Rogy
Die Amazone und der Held in filmischen Szenarien der (Post)-Apokalypse. Wonder Woman vs. Mad Max: Fury Road
So wie über den Anfang allen Seins nachgedacht, spekuliert und geforscht wird, zollt auch die Hinwendung zum Ende von einem Topos, der die Menschheit fesselt. Was mit der Offenbarung des Johannes, der Grundtext apokalyptischen Sprechens und bezeichnend für den Akt der Enthüllung, begann steigerte sich zu einem weitreichenden Denkkorpus der Apokalypse als Phänomen der Katastrophe, Untergangs und Weltendes. Diese Visionen von der Endzeit haben seither in der medialen Rezeption ihren eingeschriebenen Platz; gerade der Film setzt fortwährend auf die Umsetzung apokalyptischer Schreckensszenarien auf der großen Leinwand. Am Beispiel der Filme Wonder Woman (USA 2017) und Mad Max: Fury Road (AUS/USA 2015) soll dem Apokalyptischen in Hinblick auf die Denkfigur des Heldischen nachgegangen werden. Ziel ist es, das parasitäre Verhältnis zwischen dem Sujet der Apokalypse und der Heldenfigur an Hand weiblicher Amazonen und männlicher Helden im Medium Film herauszuarbeiten.
Prinzessin Diana alias Wonder Woman gehört dem Kriegerinnenvolk der Amazonen an, das auf der Paradiesinsel Themyscira beheimatet ist. Die Amazonen zeichnen sich durch ihre Jagd- und Kampfkunst mit Schwert, Bogen und Speer aus, die sie hoch zu Ross perfektioniert haben. Als es zum Kriegsausbruch kommt, verlässt Wonder Woman Themyscira um den Kriegsgott Ares, der die Welt von der Menschheit erlösen möchte, zu töten. Die mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Wonder Woman stellt sich trotz aller Makel und Mängel der Menschen hinter diese und kämpft für deren Überleben. Die Tötung von Ares durch Wonder Woman sowie das Märtyreropfer des britischen Spions Steve Trevor verhindern das apokalyptische Ende der Menschheit. Dass es selbst nach dem Ende immer irgendwie weitergeht, beweisen Postapokalyptische Filme wie Mad Max: Fury Road. Die Postapokalypse, die zwischen Weltuntergang und Zukunftsvision siedelt, bildet das Setting für die Ödlandschaft der Fury Road, in welcher der Tyran Immortan Joe von einer Zitadelle aus herrscht. Max Rockatansky, der seit Jahren in der kargen Wüstenlandschaft alleine umherstreift, wird eines Tages von einer Kampftruppe Immortan Joes festgenommen und fortan als Blutspender missbraucht. Das Entkommen Rockatanskys gelingt im Zuge von Imperator Furiosas gemeinsamer Flucht mit fünf Frauen in einem gewaltigen Truck. Zusammen wollen die Flüchtigen in Furiosas einstiger Heimat, dem Grünen Land, aufbrechen. Angekommen im Grünen Land müssen sie feststellen, dass das ehemalige Paradies versumpft ist. Es fällt der Entschluss gemeinsam mit den überlebenden Frauen des Grünen Landes zur Zitadelle zurückzukehren und gegen Immortan Joe und seine Truppen zu kämpfen; was schließlich in einer imposanten Schlacht auch gelingt. Die Frauen des Grünen Landes rund um Furiosa sind nun die neuen Gebieterinnen der Zitadelle und geben das aufgestaute Wasser für die Bevölkerung frei, sodass die gehüteten Saaten angebaut und Leben fortbestehen kann. Max Rockatansky wendet sich von den jubelnden Menschen ab und zieht seines Weges alleine weiter.
Selbst wenn Wonder Woman in der Zeit des ersten Weltkrieges verortet ist, bewahren die Amazonen trotz aller Kriegszeit auf ihrer Insel einen paradiesgleichen Ort. Die Amazone Wonder Woman erhebt sich zu einer übermenschlichen und gottgleichen Figur, die den Untergang der Menschheit regulieren kann. Durch den Spion Steve, dem männlichen Helden dieser Geschichte, erhält Wonder Woman Zugang zu der für sie fremden Welt der Menschen. In Mad Max: Fury Road hat die Apokalypse bereits gewütet und die Endzeit ist angebrochen. Die Amazonen (aus dem griech. a mazos – ohne Brust) sind hier die unterarmslose Furiosa sowie die hinterbliebenen Frauen des Grünen Landes, die in der Wüste eine Formation gleich eines Reiterheeres einnehmen. Sind es in Wonder Woman die mit ihren Pferden, Schwertern, Pfeil und Bogen bewaffneten Amazonen, setzen die den Amazonen ähnlichen Frauen von Mad Max: Fury Road auf Motorräder sowie Maschinenpistolen und hüten Saatgut, den Mikrokosmos eines Paradieses, in einer kleinen Ledertasche. Der stille, einsame Held ist Max Rockatansky, der für den Moment der Katastrophe anwesend ist und im Moment der Erlösung wieder verschwindet. Der Vergleich zwischen Wonder Woman und Mad Max: Fury Road soll die Momente, die Zwischenzeiten, vor und nach der Apokalypse im Film fokussieren und zeigen wie diese Art von Katastrophenzeit heroische Denkfiguren wie die Amazone und den männlichen Held hervorbringen sowie diese miteinander agieren lassen. Die Katastrophenstadien und Paradigmenwechsel, die mit dem Szenario einer Apokalypse einhergehen, sollen am Beispiel mythologischer Strukturen, technischen Fortschritts und der Frage nach Selbstbestimmung mit Wonder Woman und Mad Max: Fury Road erläutern werden. Die heroischen Geschlechter aus den zu behandelnden Filmen changieren zwischen Angriff und Flucht, Paradies und Hölle, Übermenschlichkeit und Verletzbarkeit sowie Weiblichkeit und Männlichkeit. An Hand dieser unterschiedlichen Paare der Perspektiven soll die Dimension der Apokalypse im Film sowie die Allianz der Heldenfiguren analysiert werden.
Martin Zolles
Agenten des Zukünftigen
Die wohl fatalste Daseinsgewissheit des Menschen zielt auf die Implikation seines Nicht-Seins ab, des Nicht-Mehr-Da-Seins, der eigenen Vergänglichkeit – und jener seiner Nächsten, seiner sozialen Gemeinschaft, seiner kulturellen Vertrautheiten, seiner Existenzgrundlagen: mithin seiner Welt. Seit mehr als 2000 Jahren wird die Apokalypse aufgerufen, um Wahrnehmungen von Weltverlust zwischen Endzeiterwartung und Heilsvorstellung, Untergang und Neubeginn, Verderben und Verheißung zu verhandeln. Die Frage nach der Legitimität, die mit jedem Rekurs auf das apokalyptische Begriffsregister einhergeht, ist dabei nicht eindeutig zu beantworten; unentschieden bleibt ferner, welcher Erkenntnisgewinn zwischen repetitivem, inflationärem Gebrauch und dabei stets drängender Zeit noch zu erhoffen ist.
Aus unserer Sicht ist es wenig verwunderlich, dass sich die Apokalypse als mächtigste Enthüllungs- und Untergangsgeschichte des abendländischen Denkens gerade für Gesellschaften, die sich als informierte begreifen – also einer avancierten medialen Zurichtung ihres Lebens- und Kommunikationsraumes bedürfen – mit jeder neuartigen Facette der Wirklichkeitserfahrung als Fluchtpunkt anbietet und aktualisiert. Die Apokalypse eskaliert rezent in sämtlichen Bereichen der gesellschaftlichen Organisation an der Schnittstelle von Medialität, Materialität und Mentalität. Zur Disposition steht der Mensch als creator, der Kraft seiner auf ihn rückwirkenden Schöpfungen (Artefakte, Techniken, Medien) seine eigene anthropologische Situation verändert. In einer möglichen Dysfunktionalität unserer Netze und Systeme sowie der Unabsehbarkeit des technologisch Machbaren sind heute die katastrophischen Ängste vor einer Welt am Abgrund prominent adressiert. Was uns bleibt, ist das Bewahren, ist Prävention in Form von Vermeidungsstrategien wider einen künftigen Zusammenbruch. Tagesaktuell dazu die von Elon Musk initiierte und wissenschaftlich plausibilisierte Anrufung der UN, die Entscheidungshoheit im militärischen Komplex nicht an Automatismen und artifizielle Intelligenz zu übertragen.
Um sicht-, erfahr- und planbar zu machen, was (noch) nicht ist, bedarf es in der Vorstellungswelt der Gegenwart keiner allmächtigen jenseitigen Instanz. Vorhersagen werden zu Indikatoren der Endlichkeit (zu Aussichten auf Endzeiten), Simulation ist dabei nicht nur Ähnlichkeit mit Tendenz zur Referenzlosigkeit (Derrida, Baudrillard), sondern erfahrungsloses, virtuelles Vor-Bild konjunktiver Enden. Diese Form postmoderner Apokalyptik trägt das Signum von Statistik, Informationstechnologie und Medientechnik, wobei der Unterscheidung von Vision und Visualität jene von prophecy und prediction entspricht. Wir haben, wie es etwa das Beispiel des Klimawandels nachvollziehbar veranschaulicht, jenem Technologieschub zu vertrauen, der heute bildgebend für unseren Weltbezug fungiert und apokalyptische Erwartungen im statistischen Horizont einer Lebensdauer möglich erscheinen lassen:
Die Zeichen, die vor der Verwissenschaftlichung der Welt auf den Untergang wiesen, entsprachen qualitativ nicht den Daten aus den Eisbohrkernen der Klimaarchäologen und den Satellitenbildern der Glazeologen […]. Womit wir es jetzt zu tun haben, ist ein naturwissenschaftlich belegtes Potential zur Apokalypse, eine datengestützte Ankündigung des Untergangs. (Vgl. Harald WELZER, Uns geht es gut, in: Literaturen 3 (Mai/Juni 2010) 34–40, hier 35.)
Computerisierung und Virtualisierung schicken sich als Agenten des Zukünftigen und ungeachtet der oben angeführten Unterscheidbarkeit von Prophetie und Prognostik an, weltliche Verlaufsgeschichte zu interpolieren und zu visualisieren. Der Gestus der Offenbarung – so man darunter eben die dem Wortstamm innewohnende Bedeutung einer Erschließung oder Aufdeckung von bisher Unbekanntem, Verborgenem verstehen will – scheint irreversibel als Medienfunktion gesetzt. Eine Einübung in die damit einhergehende abduktive Ästhetik freilich bleibt in Theorie und Praxis noch nachhaltig zu leisten.
Bei aller Ernsthaftigkeit zeitigt apokalyptische Artikulation heute eine bescheidene Wirkmacht. Die Apokalypse begegnet uns, instrumentalisiert entlang der Logik einer Ökonomie der Aufmerksamkeit, vordergründig als Facette publizistischen Kalküls. Womöglich aber liegt die größte Stärke der Apokalypse dann darin, das Dilemma einer Gesellschaft auf den Punkt zu bringen, die sich als aufgeklärte versteht, sich jedoch nach wie vor nicht so recht als solche verständigen kann? Denn „eine Gesellschaft, die das Christentum wirklich hinter sich gelassen hätte, würde gar nicht mehr über die Begriffe verfügen, die dem säkularen Denken zugrunde liegen. Zeit, den neuen Seinsverhältnissen auch mit neuem Vokabular zu begegnen?