Abstracts
Florian Bettel
Im Zentrum der Aufmerksamkeit – Gesten des Widerstands, die Polizei und die Warenförmigkeit von Protest
Der Vortrag konzentriert sich auf historische und zeitgenössische Beispiele aus der Kunst, die sich mit Protestästhetik und der Einbeziehung von Gesten auseinandersetzen. Als ein spezifischer Bereich der kulturellen Produktion dient Kunst als Sprungbrett, um gemeinsame Narrative der Debatte über Protestästhetik innerhalb der breiteren Populärkultur zu diskutieren. Der Vortrag folgt der Annahme, dass ein verstärktes Interesse an Protestästhetik vor dem Hintergrund wirtschaftlicher und politischer Krisen – subsumiert als Neoliberalismus – stattfindet, wobei das heutige liberale Verständnis von Polizei als „society’s first line of defence“ (Stuart Hall, Chas Critcher et al., 2013) als ein historisch Gewordenes zu analysieren ist.
Florian Bettel ist seit 2014 Senior Scientist am Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Abt. Kulturwissenschaften an der Universität für angewandte Kunst Wien (Angewandte). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Themen der Technikgeschichte, Kultur(en) des Wohnens, Sepulkralkultur sowie künstlerische und kuratorische Tätigkeiten. Aktuell ist er Teil des Forschungsprojekts „Locus Ludi: The Cultural Fabric of Play and Games in Classical Antiquity“ (gem. mit Université de Fribourg, finanziert vom European Research Council, 2019–2021) und als Projektleiter zuständig für das Digital Humanities-Projekt „Portfolio/Showroom—Making Art Research Accessible“ (finanziert vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, 2017–2021). Im Erscheinen: Florian Bettel, Irina Kaldrack, Konrad Strutz (Hg.): „Throwing Gestures. Protest, Economy and the Imperceptible“. Verlag für moderne Kunst, Wien.
Antje Daniel
Fridays for Future: Klimastreik für eine lebenswerte Zukunft
Antje Daniel ist Universitätsasstistentin (post-doc) am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört die Protest- und Bewegungsforschung,
politische Soziologie, Utopie, feministische und postkoloniale Theorie. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der Studierendenbewegung, Protesten für Sozialen Wohnungsbau oder Umweltbewegungen in Afrika und Europa.
Henrie Dennis
Protest between art and activism
Henrie Dennis ist seit 2020 Kuratorin der Wien Woche. Sie ist Gründerin und Vorsitzende von Afro Rainbow Austria, die kontinuierlich an der Verbesserung der Lebensrealitäten afrikanischer LGBTI+ Communities in der Diaspora, in Österreich und auf dem afrikanischen Kontinent arbeitet. Sie begann ihre aktivistische Arbeit schon früh bei House of Rainbow, einer LGBTI+ Organisation in Nigeria. In Wien hat sie u.a. bei LEFÖ - Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel und selbstlaut - Verein gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Sie ist noborder-Aktivistin und Vorstandsmitglied von Planet10 - Netzwerk zur Umverteilung von Privilegien. Seit 2018 ist sie Vorstandsmitglied der EL*C - European Lesbian* Conference. Henrie Dennis hat u.a. an den Performances "Iron Mask, White Torture" teilgenommen, mit der Künstlerin Petja Dimitrova an dem Projekt "We Come from Your Future" gearbeitet und das Projekt "A Punch Below the Belt" für die WIENWOCHE 2018 produziert.
Cornelia Dlabaja
Die Stadt als umkämpftes Terrain: Recht auf Stadt und soziale Bewegungen als Praktiken des Sorgetragens für Gemeingüter
Der Vortrag gibt im ersten Teil einen Überblick über Recht auf Stadt Bewegungen in diversen Feldern: Recht auf Sichtbarkeit & Teilhabe, Recht auf Wohnen und auf die Geschichte sozialer Bewegungen und bettet dies in die theoretische Debatte ein. Es wir dabei auch die Frage aufgegriffen wer eigentlich das Recht auf Stadt einfordert, was nach lokalem Kontext und Protestfeld stark differiert. Im zweiten Teil wird ein Einblick auf die Recht auf Stadt Bewegungen in Venedig gegeben die in Zeiten des Overtourism und der Kommodifizierung des Wohnens für Gemeingüter mittels Protestes und künstlerischer Interventionen Sorge tragen und in einer Reihe von Projekten diese Gemeingüter in den öffentlichen Raum zurückbringen. Abschließend wird über die Anthropologien des Politischen reflektiert und damit die Frage aufgeworfen wie sich soziale Bewegungen in politische Prozesse einbringen.
Cornelia Dlabaja ist Stadtforscherin, studierte Soziologie, Kulturwissenschaften und Raumplanung in Wien, Darmstadt und Paris. Aktuell ist sie an der Universität Wien am Institut für Europäische Ethnologie als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig, wo sie ihre Dissertation finalisiert. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Frage nach dem Recht auf Stadt und sozialer Ungleichheit. Forschungsfelder in diesem Kontext sind Recht-auf-Stadt und Protestbewegungen in Wien und Venedig, Partizipation u.a. im Kontext von Stadtentwicklungsprojekten und der öffentliche Raum als umkämpftes Terrain. In diesem Zusammenhang arbeitet sie mit Interventionen im Stadtraum, an der Schnittstelle von Kunst und Stadtforschung. Im Rahmen des Gemeindebaufestivals befasste sie sich in der von ihrer kuratierten Ausstellung Gemeinde Bau Kunst mit Visionen für Gegenwartskunst im Gemeindebau. Sie ist Sprecherin und Mitinitiatorin der Sektion Soziale Ungleichheit der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie.
Julia Edthofer
Ce s? fac eu…? " Reflexionen über eine mehrsprachige Stadtforschung am Rennbahnweg
Im Vortrag wird eine partizipative Videoforschung zum Thema Rassismus in der direkten Wohnumgebung reflektiert, die gemeinsam mit Schüler*innen der NMS „Mira-Lobe-Gasse“ im Rahmen des Sparkling Science-Forschungsprojektes „Das geheime Leben der Grätzeln“ durchgeführt wurde.
Julia Edthofer ist Universitätsassistentin (post-doc) am Forschungsbereich Soziologie des Instituts für Raumplanung (TU Wien) und arbeitet in den Bereichen Wohnbauforschung mit Fokus auf sozialen Städtebau und den Zugang zu urbaner sozialer Infrastruktur sowie zu jugendlichen Raumaneignungsstrategien und Verdrängungsprozessen aus dem öffentlichen Raum.
Christian Heller
"Peace & Love" oder Neonazismus?
Viele als "alternativ" oder "gegenkulturell" verstandene Szenen zehren von Denkmustern, die sich sowohl progressiv als auch reaktionär auslegen lassen. Das Spektrum der Hippie-Kulturen z.B. produziert sowohl humanistischen Antiautoritarismus als auch Anknüpfungspunkte für rechtsradikale Bewegungen. Einige hier anzutreffende Denkmuster sollen als mögliche Ursachen betrachtet werden: eine ins Romantisierende reichende Neigung fürs "Natürliche" und "Ursprüngliche"; eine Ablehnung als übermäßig rationalistisch und materialistisch verstandener Weltmodelle und Politiken; und ein Selbstverständnis als Opposition gegen "den Mainstream" und eine Kontrolle der Welt durch verschwörungstheoretisch verstandene Eliten. Ziel ist hierbei nicht die Denunziation solcher Denkweisen als pauschal falsch und gefährlich, sondern die Sensibilisierung dafür, über welche Denkschritte ihre Grundannahmen jeweils in förderns- oder ablehnenswerte Richtungen führen mögen.
Christian Heller lebt in Berlin und studierte dort Filmwissenschaften, Philosophie und Informatik. Er arbeitet zu Fragen der Netzpolitik, digitaler Kunst und gegenkultureller Räumen (Bücher "Post-Privacy. Prima leben ohne Privatsphäre" und "Internet-Meme").
Siglinde Lang
Kunst am/im (Wohn)Bau: Kontexte & Formate, Intentionen & Limitationen
Bereits in den 1930er Jahren wurde „Kunst am (Wohn)Bau“ die Rolle als „Kunstvermittlerin“ zugewiesen. Mit der Gestaltung von Fassaden, Hauseingängen oder Parkanlagen sollte den Bewohner*innen Zugang zu Kunst ermöglicht sowie ein nachbarschaftlicher Austausch angeregt werden. Waren es in den Anfängen eher großflächige Mosaike oder monumental anmutende Skulpturen und Plastiken sind es heute zumeist temporäre Kunstprojekte, die prozess- und dialogorientierte Konstellationen im Triangel von Kunst, (Wohn)Raum und (lokaler) Öffentlichkeit erproben und/oder initiieren. Doch was kann, ist und soll Kunst am und im Wohnbau leisten, wenn - damals wie heute – der (kulturpolitische) Anspruch gesetzt wird, dass Zugangsbarrieren nivelliert und „kulturelle Teilhabe“ gestärkt werden? Anhand einer Bandbreite an Referenzbeispielen vermittelt der Vortrag den Entstehungskontext und Intentionen von "Kunst am Bau" und spannt den Bogen zu aktuellen Entwicklungen, Formaten und Praxen.
Siglinde Lang ist Kulturwissenschaftlerin, Kuratorin und Lehrende. Ihr Arbeits- und Interessenschwerpunkt umfasst partizipative und dezentrale Kulturarbeit sowie Kunst im öffentlichen Raum.
Link: https://buero-kwp.net
Ursula Maria Probst
Urbaner Aktivismus als gelebtes Experiment
Wir erleben derzeit raumzeitliche Kämpfe, die durch die Widersprüche der derzeitigen Covid-19-Situation intensiver greif- und spürbar geworden sind. Wie entwickeln wir neue Narrative und visuelle Ausdruckformen, um offensichtlichen und unterschwelligen Diskriminierungen entgegen zu treten? Der Vortrag geht diesen und damit in Zusammenhang stehenden Fragen nach. Zwar liegt den Agenden des Veranstaltungs-, Projekt- und Kulturraumes Fluc am Wiener Praterstern kein Manifest oder eine Streitschrift in der Diktion von „Recht auf Stadt“ zugrunde, doch ist das Fluc in seiner gelebten Do-it-Yourself-Praxis ein Manifest an sich. Das aus einer Lust am Produzieren von Frei- und Möglichkeitsräumen und am Experiment gewachsen ist und sich in einem permanenten Prozess der Veränderung befindet. Recht auf Stadt, das Henri Lefebvre als urbanen Aktivismus einforderte, wurde vom Fluc in den vergangenen 19 Jahren praktiziert. Defacto ist das Fluc aus einer Dynamik des Bedarfs diverser Kunst-, Musik- und Clubinitiativen und aus einer widerständigen Praxis entstanden.
Ursula Maria Probst ist Kulturarbeiterin, Performerin, Kunstkritikerin und freie Kuratorin (Fluc, public art niederösterreich, KÖR). Seit 2019 Betreiberin des Artist in Residence Projekt Body Embedding mit Hongwei Duan; 2021 yH brid Spaces, Fluc/Akademie der bildenden Künste Wien; 2019/20 Ritual & Revolte. What ist to be done?, toZomia/KulturKontakt Austria/Akademie der bildenden Künste Wien; 2013-2019 Transcultural Emancipation mit Artists in Residence von KulturKontakt Austria/BKA; 2019/2018 Tête-à-Tête. Bewegungs-/Aktions-/Interventionsradius Praterstern (Kooperation mit Akademie der bildenden Künste Wien & KÖR, supported by Fluc); 2017 Du oder ich? Collective Soul. Ethik des Miteinanders, Public Art NÖ; Encouragement, curator in residence, Saracura, Rio de Janeiro. Ursula Maria Probst ist Lehrbeauftragte an der Akademie der bildenden Künste Wien. Vorträge und Lecture Performances u.a. in China, Myanmar, Vietnam, Kuba, Zypern, Ukraine, Russland, Brasilien, Panama, Bulgarien, Slowenien.
Annika Rauchberger
Öffentlicher Raum für alle? Wie die Verdrängung von marginalisierten und sichtbar von Armut betroffenen Menschen in Wien voranschreitet.
Der öffentliche Raum sollte ein idealerweise ein Ort der Gleichheit und Begegnung sein, der für alle Menschen frei zugänglich ist. Dies gilt jedoch nicht mehr für die zentralen und wirtschaftlich bedeuteten Lagen der Stadt, die gekennzeichnet sind durch Kommerzialisierung und Konsumorientierung. Obdachlose, wohnungslose, suchtkranke und insbesondere bettelnde Menschen gelten aufgrund ihrer sichtbaren Armut als unerwünscht. Sicherheits- und Ordnungspolitiken sanktionieren, kriminalisieren und verdrängen marginalisierte Menschen. Um der Vertreibung und der Entsolidarisierung in der Gesellschaft entgegenzuwirken, kämpft die BettelLobby Wien für einen öffentlichen Raum für alle und verteidigt das Grundrecht auf Betteln.
Annika Rauchberger, hat Soziale Arbeit in St. Pölten und Soziologie an der Universität Wien studiert. Durch einen längeren Forschungsaufenthalt in Rumänien, bei dem sie sich mit der Thematik struktureller Ausgrenzung und Marginalisierung von Nachfahr*innen der Romn*ija auseinandergesetzt hat, ist sie besonders sensibilisiert über die Lebenslage der in Wien lebenden armutsbetroffenen Rumän*innen. Seit 2013 ist Aktivisten der BettelLobby Wien.
Anna Schiff / Michaela Moser
Stimmen gegen Armut. Protestformen „von unten“.
Die Armutskonferenz ist seit 1995 als Netzwerk von u?ber 40 sozialen Organisationen, sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen aktiv. Sie thematisiert Hintergru?nde und Ursachen, Daten und Fakten, Strategien und Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung in Österreich. Die in der Armutskonferenz zusammengeschlossenen sozialen Organisationen beraten, unterstu?tzen und begleiten u?ber 500.000 Menschen im Jahr. Die Plattform „Sichtbar Werden“ ist als Teil der Armutskonferenz ein Zusammenschluss von Menschen und Initiativen mit Armuts-, Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen aus ganz Österreich. Als Delegierte zahlreicher Initiativen und Vereine vertreten sie direkt die Interessen von Menschen mit Armutserfahrungen. Die Plattform tritt insbesondere ein für die Verwirklichung sozialer Menschenrechte als Grundlage für ein demokratisches, würdevolles und selbstbestimmtes Leben und Zusammenleben aller.
Gemeinsam sind wir seit vielen Jahren im Kampf gegen Armut und Ausgrenzung aktiv. Dabei geht es darum Armut und Ausgrenzung, vor allem aber auch wirksame Gegenstrategien sichtbar zu machen.
Die von uns praktizierten Protestformen reichen von Informations- und Bildungsveranstaltungen und -materialien bis hin zu vielfältigen Straßenaktionen, Theater-Interventionen und Demonstrationen und direktem Lobbying, wie dem Parlament der Ausgegrenzten. Dabei sind uns Perspektive und Protest „von unten“ speziell wichtig. Themen wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Scham, Abwertung, Demütigung, Non-Take-Up u.v.m werden von Menschen mit Armutserfahrungen auf Basis ihrer Erfahrungen und verknüpft mit der Expertise wissenschaftlicher Expert*innen auf die Straße, ins Parlament und in möglichst viele Köpfe und Herzen gebracht.
Anna Schiff ist alleinerziehende Mutter aus Wien und arbeitet Teilzeit als Restauratorin. Seit längerem ist aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen in zahlreichen Initiativen engagiert, unter andrem in der Plattform „Sichtbar werden“ der Armutskonferenz.
Michaela Moser ist Dozentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ilse Arlt Institut für soziale Inklusionsforschung und seit vielen Jahren in der Armutskonferenz engagiert.