Protestformen als Kulturelle Praxis
In einer Zeit in der alles im Umbruch scheint rücken Protestformen wieder stärker in unser Bewusstsein. Soziale Bewegungen und sozialer Aktivismus sind entscheidend für politisches Engagement und soziale Transformation. Traditionelle sozialwissenschaftliche Ansätze zu sozialen Bewegungen und sozialen Veränderungen tendieren dazu, Formen des kollektiven Widerstandes und Protests vor allem als irrationale, spontane Reaktionen auf Unterdrückung oder als rationale Äußerungen von Andersdenkern darzustellen. Welche aktuellen Theorien von Macht, Politik und sozialem Wandel prägen soziale Bewegungen und generien eine Kultur des Widerstandes? Wie wird politischer Widerstand heute gelebt, organisiert und in Aktionen transformiert? Wie steht es um Bürger_innen-Bewegungen und Widerstand pre/während/post der Pandemie? Bürgerbewegungen heute zu betrachten heißt auch mit netzwerkgestützten Organisationsformen zu tun zu haben. Zu beobachten ist mitunter eine stärkere Heterogenität bei den Menschen, die sich diesen Bewegungen anschließen. Gibt es einen gemeinsamen Nenner? Covid-19 wird vielfach als Lehrmeister angesehen, der ein radikales Umdenken eingefordert und Paradigmenwechsel angestoßen hat. Was ist uns wichtig, wie ändern sich Themen und Modus von Bewegungen? Wie werden Bewegungen in den Medien geframed? Wo sind die dark spots der Selbstorganisation, wo die sweet? Trägt die aktuelle Covid-19 Pandemie dazubei Conspirituality zu verstärken?
Bürgerliche Politik als Organisationsform der eigenen Ohnmacht
Der Kapitalismus hält sich zugute, individuelle Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume in nie zuvor gekannter Weise vermehrt zu haben. Jene persönliche Freiheit, die er verspricht, vermengt er jedoch bis zur Ununterscheidbarkeit mit den Sachzwängen der Verwertung – im Leben jedes einzelnen Menschen wie auf der Ebene der Politik. Ihnen kann sich niemand verweigern, jedenfalls nicht dauerhaft, wie die Karrieren zahlreicher Alternativparteien belegen. Alle sind strukturell denselben ökonomischen Zwecken unterworfen.
Wie instabil die kapitalistische Wirtschaftsweise ist, hat zuletzt die Covid-19 Pandemie deutlich gemacht, in der sich die politischen Institutionen ebenso als Getriebene zu erkennen gaben wie jene Menschen, die von ihnen Schutz vor den Verheerungen einer aus dem Gleichgewicht geratenen Ökonomie erwateten. Dass sie dabei sträflich versagt haben, hat seinen tieferen Grund nicht in der Unfähigkeit ihrer Vertreter_innen oder behebbaren Konstruktionsfehlern des Systems. Auf politischem Wege lässt sich die kapitalistische Ökonomie weder korrigieren noch bändigen. Allenfalls können ihre allerkrassesten Effekte ein wenig abgemildert und moderiert werden, was freilich nur kurzfristig gelingen kann. Die Rat- und Planlosigkeit offizieller Krisenpolitik legt beredtes Zeugnis darüber ab.
Durch den Zwang zu immer rasanterer und rücksichtsloserer Ausbeutung von Mensch und Natur sind dem Handeln enge Spielräume gesetzt. Es ist selbst zum Spielball der Verhältnisse geworden, die es nicht mehr sinnvoll oder nach jenem „menschlichen Maßstab“ gestalten kann, von dem die hilf- und bewusstlose Rede vom „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“ träumt. Als Wartungsdienst an jenem Rahmen, in dem Verwertung immer noch einmal gelingen kann, erschöpft sich bürgerliche Politik darin, das System aufrechtzuerhalten. Als „Haustechnik des Kapitalismus“ bleibt sie organisierte Willkür, in der es kaum noch möglich ist, Parteien und ihre Vertreter_innen voneinander zu unterscheiden. Sie können die Welt der sich verselbständigenden Sachzwänge im günstigsten Fall noch unterschiedlich interpretieren, reformieren oder gar verändern, können sie sie nicht mehr. In den zähen Verwaltungsaufgaben am Unausweichlichen verliert das Versprechen, das der Demokratie einmal ihren guten Namen gab, seine Überzeugungskraft. Politikverdrossenheit einerseits sowie der Ruf nach populistischen Scheinlösungen und autoritären Politikformen sind logische Folgen einer strukturellen Handlungsunfähigkeit.
Das Engagement als Privatisierung von Politik und seine Selbstaufklärung
Dass das System nicht länger so selbstverständlich soziale Sicherheit und bescheidenen Wohlstand, Aufstiegsmöglichkeiten und Bedürfnisbefriedigung durch erschwingliche Konsumgüter gewährleisten kann, wie es uns in den längst vergangenen glanzvollen Tagen der „sozialen Marktwirtschaft“ suggeriert wurde, haben wohl alle eingesehen. Auch dass die Politik gegenüber dem blindwütigen Prinzip der Verwertung ohnmächtig ist und allenfalls an seinen Folgen mehr oder weniger stümperhaft herumdoktern kann.
Mit dem Niedergang der Politik als gesellschaftliche Gestaltungskraft geht eine Konjunktur der Ehrenämter, des persönlichen Engagements, der Kleinst-NGOs in Vereinsform und anderer Formen privatisierter Politik einher, die aus den Überresten der Alternativ- und Gegenkultur hervorgegangen sind und auf einen emphatischen Begriff von Bürgerlichkeit rekurrieren. Sie sollen an dieser Stelle keineswegs diskreditiert werden, da sie wichtige Arbeit leisten und schneller auf bestehende Notstände reagieren können, als institutionalisierte Politik es vermag. Zugleich stellen sie aber auch deren Schwundform dar. Die Übernahme dessen, was einmal politische Aufgabe war, erfolgt nicht selten notgedrungen, wenn auch gelegentlich unterfüttert mit einer fragwürdigen Begeisterung für die eigene Hilfsbereitschaft.
In einem gewissen Sinne stellen Engagement und Ehrenamt zudem stets eine Inversion der Bürgerwehr dar, wobei das eine schnell in das andere umschlagen kann. Als emanzipatorisch wäre das privatisierte Engagement aber zumindest in dem Sinne zu verstehen, dass es Politik demokratisiert. Kontraproduktiv wirkt es wiederum da, wo es dem Staat allzu leicht gemacht wird, sich zurückzuziehen, Kosten einzusparen, Zuständigkeiten abzuwickeln und unprofitable Aufgabenbereiche outzusourcen.
Initiativen wie Train of Hope führen aber auch vor, wie Geflüchteten solidarisch begegnet werden kann. Gegenüber einer schwerfälligen und nicht selten unwilligen Bürokratie bieten sie rasche, unkomplizierte und bedingungslose Unterstützung, die in ihnen kein Verwaltungsproblem sieht, sondern die individuelle Not und Bedürftigkeit von Menschen, ohne sie dafür in solche mit Bleibeperspektive zu unterteilen und von denen abzusondern, die keine haben, wie es die Sprachregelungen der verwalteten Welt vorsehen.
Der schleichende Verfall der liberalen Gesellschaft in jener Krise, die sich von einer bestimmten Verlaufsphase der Konjunktur in einen dauerhaften Ausnahmezustand transformiert hat, zwingt zu derlei Maßnahmen als letzte Möglichkeit, einer sich zunehmend wieder in Barbarei verwandelten demokratischen Politik, die das Verwertungsprinzip dem bürgerlichen Staat auferlegt, wenigstens etwas entgegenzusetzen. In diesem Transformationsprozess stellt Engagement bereits eine erste Form von zivilem Ungehorsam dar, die gegen die Allmacht der Kosten-Nutzen-Rechnung aufbegehrt und in der ein neues Verständnis von Politik entstehen könnte: als Artikulationsfeld eines fundamentalen Nichteinverstandenseins mit den herrschenden Verhältnissen. Wo Staat und Markt versagen, heißt es, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, um sich vom Paradigma jener Verwertung zu befreien, dem beide in jeder ihrer Handlungen so ausweglos verpflichtet sind.
In dieser Perspektive stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Engagements. Als beherztes Eingreifen besorgter Bürger_innen bedeutet es nichts, was über den Akt der unbürokratischen Hilfe hinausginge. Es ist dann weniger Auf- als Beistand, der sich – wo das Problem behoben ist und etwa die neu angekommenen Geflüchteten dem Verwaltungsapparat übergeben wurden – verläuft. Inwiefern sich die individuelle Hilfsbereitschaft von der systematischen Geflüchtetenabwehr, die ja nicht nur an den Außengrenzen stattfindet, sondern sich auch in ihrer Behandlung und (Zwangs-)Unterbringung niederschlägt, unterscheidet, dürfte ihr gar nicht immer klar sein.
Ehrenamtliches Engagement ist zudem stets auf individuelle Bereitschaft angewiesen. Und die ist selbst wiederum prekär, weil sie von durchaus unsicheren, schwer kalkulierbaren Faktoren abhängt: der zur Verfügung stehenden Zeit, der medial erzeugten Aufmerksamkeit und den von ihr bereitgestellten Interpretationsfolien (die Schutzbedürftige jederzeit wieder in bedrohliche Fremde verwandeln kann, wie sich aktuell in der deutschen Diskussion noch längst nicht vollständig aufgeklärter Vorfälle in der Sylvesternacht 2015 zeigt). Sollte der Konkurrenzkampf der Subjekte weiter eskalieren, könnte sich das Engagement ebenso schnell verflüchtigen, wie sich ja auch die offizielle Politik mit seiner Unterstützung zurückgezogen hat, so dass die Geflüchteten am Ende sich selbst überlassen bleiben.
Als reiner Notbehelf für das strukturelle Versagen der Politik bleiben Engagement und Ehrenamt weitgehend systemstabilisierend. Um als Keimform einer anderen Gesellschaft wirken zu können, bedarf es ihrer kritischen Reflexion, ergänzt um ein grundlegendes Verständnis jener Probleme, in die es interveniert. Und nur da, wo es in denen, mit denen es zu tun hat, kein bemitleidenswertes Schicksal oder individuelles Versagen erblickt, dem aus Nächstenliebe unter die Arme gegriffen werden muss, kann es Lösungen finden, die über die unmittelbare Bedarfsanalyse hinausgehen. Die „engagierten Bürger_innen“ müssen sie als das erkennen, was sie ja auch in Wirklichkeit sind: Leidtragende einer gewalttätigen Ökonomie, die Mensch und Natur lediglich als nötige oder überflüssig gewordene Glieder einer Wertschöpfungskette betrachtet.
Wo Engagement aber nichts wirklich wissen will von jenen Gründen, die es auf den Plan rufen, bleibt es reine Kosmetik: eine zwar notwendige, aber eben auch betriebsblinde und von sich selbst berauschte Geste, die keinerlei Veränderungsperspektive beinhaltet, solange sie nur die Oberflächensymptome einer viele tiefer gehenden Krise bekämpft. Engagement muss sich dagegen als praktische Politik begreifen, die eine fundamentale Kritik am alles überschattenden Verwertungsprinzips formuliert. Satt lediglich hilfsbereit beizuspringen, muss es jene Verhältnisse kritisieren (lernen), an deren notwendigen Folgen es sich abarbeitet.
Hierzu wird es aber in erster Linie nötig sein, die eigene Stellung in dem zu reflektieren, was „gesellschaftliche Totalität“ heißt. Sie muss als solche erkannt und benannt werden können, was dann natürlich zu Lasten von Konsens und des Gemeinschaftsgefühls derjenigen geht, die aus sehr unterschiedlichen Motiven und mit durchaus verschiedenen Ausgangsbedingungen zur Stelle sein wollen.
Als Subjekttechnik bleiben der Goodwill- oder Feelgoodaktionismus wie das Helfer_innensyndrom, das bisweilen aus ihm spricht, und jener Altruismus, der beides in Gang setzt, durchaus fragwürdig, solange jedenfalls, wie sich die Engagierten bloß der eigenen Gutherzigkeit versichern, und jenem Falschen, an dessen Aufrechterhaltung sie im Rahmen ihres Berufs- und Lebensalltags teilhaben, etwas entgegensetzen wollen, was sich richtig, nämlich menschlich anfühlt. Als Entlastungsstrategie lässt sich hierin eine moderne Form des psychosozialen Ablasshandels erkennen, der sich aber zugleich als Plattform anbietet, um ins Bewusstsein der Engagierten zu intervenieren. Praktische Hilfe braucht daher einen theoretischen Bezugsrahmen, der sie allerdings nicht arrogant abzukanzeln darf.
Zur Rolle der digitalen Kultur in der Gesellschaft des Engagements
Vor allem die digitale Kultur verfügt über Ressourcen und Mittel, anderen zu helfen, weniger, indem sie ihnen warme Decken umhängt und heiße Suppe serviert, obwohl sie sich auch dafür nicht zu schade sein sollte. Angesichts der „humanitären Katastrophen“, die sich gerade vor unseren Augen abspielen, wäre jenes Avantgardebewusstsein, das noch immer viele Netzaktivist_innen umtreibt, fehl am Platz. Dass die fortgeschrittene Technologie, dem die digitale Kultur ihre Vorreiterinnenrolle verdankt, ohnehin nur das Ergebnis einer ökonomischen Ungleichheit ist, die die Menschheit in erste und dritte Welten unterteilt, versteht sich ohnehin von selbst; ebenso dass die Möglichkeit, an ihr teilzuhaben, vor allem von den Zufälligkeiten der Geburt abhängt.
Weil die digitale Kultur es aber mit dem allerneusten Stand der technologischen Revolution zu tun hat, verfügt sie über avancierte Möglichkeiten, die zu jener Emanzipation aus systembedingter Unmündigkeit verhelfen können, die sich viele ihrer Vertreter_innen ja auch auf die Fahne geschrieben haben. In ihr kondensiert sich ein historisch neues Wissen, das sich in selbstermächtigende und partizipatorische Kulturtechniken übersetzen lässt. Sie müssen erlernt und vermittelt werden, vor allem jenen, die sich über Nacht in fremden oder entfremdeten Welten orientieren müssen und die im Zuge ihres sozialen Abstiegs oder ihrer Flucht gewachsene Handlungsmöglichkeiten (im Falle der Geflüchteten etwa die Artikulationsfähigkeit durch Sprache und Kultur) aufgegeben haben.
Die Digitalität und vor allem das Netz stellen Plattformen der Inklusion bereit, die sich einer Politik der Exklusion (die durch alle Formen einer tagespolitisch herbeigeredeten „Willkommenskultur“ stets hindurch scheint) entgegenstellen und so zum Ausgangspunkt einer Insurrektion gegen das Verwertungsprinzip und seine politische Form – den bürgerlichen Staat – werden kann. Dieses immerhin latent im digitalen Kulturraum vorhandene Potential gilt es zu manifestieren. Es zeigt sich vor allem in der weit verbreiteten Subversionsstrategie des Hacking, das User_innen wieder zu Subjekten ihres digitalen Lebens macht, die sie sich den Gebrauchsanweisungen und Benutzer_innenoberflächen ihrer Geräte verweigern oder restriktive Copyrightreglements umgehen. Da sie in Gestalt der Technologie täglich mit dem Zugriff der Verwertung auf ihr Leben zu tun haben, verfügen sie über eine Reihe von Strategien und Kooperationsmodellen, die anderen – und die Geflüchteten geben dafür nur das derzeit prominenteste Beispiel – helfen können, jene Objektivierung abzuschütteln, die ihnen Ökonomie, Politik und nicht zuletzt ein reflexionsblind-menschelndes Engagement (in dem sich keineswegs zufällig die Klassengesellschaft aktualisiert) auferlegen.
Technologie war seit jeher der Schlüssel zur Emanzipation des Menschen. Indem die digitale Kultur an der momentan noch immer zukunftsträchtigsten Technik ansetzt und versucht sie – egal, ob aus allgemeinem oder einem durchaus egoistischen Partikularinteresse heraus – der Definitionshoheit des Verwertungsprinzips zu entreißen, ist sie eine politische Bewegung, auch da, wo sie das noch gar nicht begriffen hat. Der Aufstand der User_innen gegen die Formen, in denen sich das Verwertungsprinzip in die Geräte eingeschrieben hat, ist ein Kampf um Autonomie. Hacking bedeutet, sich den digitalen Lebensraum wieder anzueignen und ihn entsprechend der eigenen Bedürfnissen umzugestalten. Diese Herangehensweise lässt sich auf Kontexte jenseits des Netzes übertragen.
Aus der Perspektive der digitalen Kultur stellen alle Versuche, aus der Verwertungslogik auszubrechen – gelungen oder nicht – eine Form von Hacking dar, auch wenn der Begriff in ihrem Zusammenhang eher selten erscheint: alternative Ökonomien, die Dekonstruktion starrer Identitäten und einer binären Geschlechterordnung, die Intervention in das europäische Grenzregime (wie jene so genannte „Schleuserkriminialität“, die nicht primär der Absicht der Gewinnerzielung folgt) usw.
All diese Formen der Opposition gegen ein System der bedingungslosen Verwertung von Mensch und Natur waren in der Vergangenheit häufig voneinander getrennt. Sie existierten in abgeschotteten Spezialwelten vor sich hin. Die Interessen, die sie verfolgten, blieben oft begrenzt: Geflüchtetenarbeit sah sich beispielsweise kaum in einem direkten Zusammenhang mit den Lohnkämpfen der Ersten Welt oder dem griechischen Widerstand gegen die Politik der Troika.
Wo für sie ein übergreifender Begriff gefunden wird, können auch die Gemeinsamkeiten in den Blick genommen werden. Als Kulturtechnik zur Veränderung der digitalen wie der analogen Welt könnte „Hacking“ sie in einen gemeinsamen Kontext stellen und ihnen so helfen, jene Vereinzelung zu überwinden, in der das Engagement in dieser oder jener Angelegenheit – dem Subjekt des Verwertungsprinzips nicht unähnlich – stets auf sich allein gestellt bleibt. Um das Bestehende nachhaltig zu verändern und eine Welt zu erschaffen, in der niemand mehr fliehen muss, aber jede_r leben darf, wo es ihm gefällt, bedarf es keiner punktuellen und schon gar keiner ehrenamtlichen Intervention, die nur da auf den Plan tritt, wo die Widersprüche und Missstände so manifest zu Tage treten, dass sie sich beim besten Willen nicht mehr ignorieren lassen. Es braucht eine multiperspektivische soziale Bewegung, die praktische Hilfe und Basisarbeit mit deren permanenter Reflexion vor dem Hintergrund dessen verbindet, was technisch längst möglich wäre, aber noch nicht einmal ansatzweise verwirklicht wurde: eine Leben frei von Not, Elend, Gewalt und Konkurrenz auf der Grundlage einer am Allgemeinwohl interessierten Vernunft (aus durchaus selbstsüchtigen und keineswegs bloß aus altruistischen Motiven). Und die kann nur gelingen, wo die in Initiativen und Ehrenämtern, in tragischen Einzelschicksalen, Prekarisierung und dem Verlust der Lebensgrundlage, in digitalen und realen Räumen Vereinzelten erkennen, dass sie ein gemeinsames Interesse haben: das kapitalistische Verwertungsprinzip endgültig aus der Welt zu schaffen – als das, was es nun einmal ist: eine menschheitsgeschichtliche Sackgasse.
Angesichts der Krisen, die wir gerade erleben und die uns noch bevorstehen, geht es dabei um nichts Geringeres als den Zusammenschluss all derer, die ihr Leben in die eigene Hand nehmen, um es anders einrichten zu können. Dabei wäre es sinnlos, weiter auf Lösungen aus Politik und Wirtschaft zu hoffen, die es schon deswegen nicht geben wird, weil deren Akteuer_innen sich nicht gegen jenes Verwertungsprinzip entscheiden können, das zu entmachten, die einzige Option ist, die denen noch bleibt, die ihrem drohenden Untergang entgehen wollen.
Wie lässt sie sich auf dem Wege der Digitalität voranbringen und popularisieren? Welche besonderen Interventionsmöglichkeiten liegen im Umgang mit digitaler Technologie begründet und wie lassen sich die Probleme und Zugangshürden, auf die wir dort stoßen, als Sonderfall eines allgemeinen Zwangs erkennen? Was können sie dazu beitragen, uns und andere über dessen perfide Konstruktion aufzuklären?
Welche Ideen, Werkzeuge und Techniken für den Kurswechsel in ein besseres Leben können wir als digitale Kultur anderen anbieten, die an anderer Stelle und mit anderen Mittel um das gleiche kämpfen: z. B. gegen die Privatisierung von kulturellem Wissen und so genannter Commons oder um bezahlbare Medikamente in Form von Generika? Wie lassen sich unsere Erfahrungen in deren Kämpfe übertragen und was können wir von ihnen lernen? Wie können wir ihnen unsere Solidarität ausdrücken? Und wie lassen sich die Waffen der digitalen Avantgarde in andere Bereiche übertragen: symbolisch und real? Was hat unser Kampf um Autonomie gegenüber unseren Geräten bzw. gegenüber den (Verwertungs-)Interessen derjenigen, die sie zur Verfügung stellen, mit dem südamerikanischer Kaffeebäur_innen um ihre (Über-)Lebensgrundlage zu tun? Wie weit trägt eine solche Analogie; wo liegt das Besondere im Allgemeinen und das Allgemeine im Besonderen?
Und nicht zuletzt: Wie lässt sich gegen das eigene Bewusstsein, einer kulturellen Avantgarde anzugehören, angehen, das schon immer zu Fehleinschätzungen der eigenen Reichweite, Bedeutung und Stellung im gemeinsamen Kampf geführt hat? Was können wir tun, um uns dabei weder zu unter- noch zu überschätzen? Und wie können wir den Geflüchteten, Abgehängten und Verelendeten wirklich auf Augenhöhe begegnen angesichts der vielen Privilegien, die wir genießen – von jener Reisefreiheit, die nur den Einwohner_innen der westlichen Hemisphäre zugestanden wird bis hin zur grundsätzlichen Ernährungssicherheit, die es uns ermöglicht, uns abendfüllend mit den Problemen der digitalen Welt zu beschäftigen?
Wie können wir überhaupt miteinander kommunizieren, wenn wir dabei über so unterschiedliche Dingen reden wie Datensicherheit im Netz und lebensbedrohlichen Missernten in Folge des Klimawandels, zumal beide über den Kohlendioxidausstoß kausal verknüpft sind, dem wir jene digitale Freiheit verdanken, die wir dem Zugriff staatlicher und privatwirtschaftlicher Akteur_innen entziehen wollen?
Wie kann ein allgemeiner Aufstand der Nutzer_innen gegen das System und seine so unterschiedlichen Teilsysteme aussehen? Auf welche Ziele und Minimalforderungen muss er sich verständigen und wie will er sie durchsetzen? Das alles und noch vieles mehr gilt es zu klären, bevor wir wirklich die Welt verändern können, um sie als das zu retten, was sie noch immer sein kann, aber schon bald nicht mehr sein wird: der einzige Ort, an dem wir alle gut und gleichberechtigt zusammenleben können.